Gedämpftes Verkehrswachstum bis 2050

Von: Dr. Andreas Justen, Dr. Raphaël Ancel, Dr. Antonin Danalet, Dr. Nicole A. Mathys

Keywords: Personenverkehr, Güterverkehr, Raumentwicklung, Verkehrsmodelle, Szenarien

Der Verkehr wird auch in Zukunft wachsen. Dies zeigen die Verkehrsperspektiven 2050 des Eidgenössischen Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK). Der Verkehr wächst aber weniger stark als die Bevölkerung und die Wirtschaft. Im Hauptszenario BASIS der Verkehrsperspektiven 2050 nimmt der Verkehr in Personenkilometern bis 2050 gegenüber dem Referenzjahr 2017 unterproportional um 11 Prozent zu, während die Bevölkerung um 21 Prozent wächst. Dies aufgrund der Zunahme von Homeoffice, der weitergehenden Urbanisierung und der Alterung der Bevölkerung. Arbeitswege werden weniger, Freizeitwege mehr. Der Güterverkehr steigt um 31 Prozent ebenfalls unterproportional im Vergleich zum Bruttoinlandsprodukt (BIP), welches um 57 Prozent wächst. Besonders der Lieferwagenverkehr nimmt zu.

Quantifizierung von wenn-dann-Szenarien

Die Ergebnisse der Verkehrsperspektiven 2050 werden genutzt von Planerinnen und Planern, die in den Bereichen Mobilität, Raum und Umwelt arbeiten, im Bund zum Beispiel zur Bewertung von Strasseninfrastrukturprogrammen oder Fahrplänen. Die Ergebnisse müssen dabei den Ansprüchen an Detailgrad und Plausibilität genügen, damit die Planungen auf Strasse und Schiene räumlich differenziert durchgeführt werden können. Dies bedingt die Formulierung konkreter und quantifizierbarer Annahmen zur Raum- und Verkehrsentwicklung sowie deren Analyse und Quantifizierung unter Einsatz von Modellen. Die Resultate werden weiter für verkehrspolitische und raumplanerische Entscheide, die Energieperspektiven und Abschätzungen zu Lärm- und Luftschadstoffemissionen genutzt.

Die Verkehrsperspektiven zeigen anhand von vier, in sich kohärenten, wenn-dann-Szenarien, wie sich Personen- und Güterverkehr zwischen 2025 und 2050 entwickeln könnten. Das Szenario BASIS basiert auf Annahmen, die sich an den Mobilitätszielen des Bundes (ARE et al. 2021) orientieren. Die anderen drei Szenarien sind alternative Entwicklungspfade. Die Szenarien basieren auf unterschiedlichen Annahmen, was die technologischen und gesellschaftlichen Entwicklungen angeht, etwa, wann die Politik Massnahmen zur Erreichung der Pariser Klimaziele ergreift, wie schnell sich umweltfreundliche Technologien etablieren und wie wichtig Besitz und Nachhaltigkeit jedem Einzelnen sind. Zudem wurden für das BASIS zwei Sensitivitäten mit höherer und tieferer Bevölkerungs- und Wirtschaftsentwicklung berechnet. Nachstehende Abbildung zeigt die vier Szenarien und eine Einordnung hinsichtlich ihrer Ausprägung mit Blick auf eine nachhaltige und technologieorientierte Verkehrsentwicklung.

Abbildung 1:
Nachhaltige Gesellschaft (NTG)
Individualisierte Gesellschaft (ITG)
BASIS-Szenario (Raum & Mobilität 2050)
Weiter-wie-bisher (WWB)
T: Technikaffinität, v.a. hinsichtlich Elektromobilität (e) & Automatisierung

Die Verkehrsperspektiven basieren – wo immer möglich – auf offiziellen Statistiken und Prognosen. Allen Szenarien ist das mittlere Bevölkerungsszenario (A-00-2020, BFS 2020) auf Stufe Kanton unterlegt. Die Bevölkerung wächst also im Vergleich zum Referenzjahr um 1.8 Millionen Personen auf 10.44 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner im Jahr 2050. Aufgrund der demografischen Alterung sinkt der Anteil der Erwerbstätigen an der Gesamtbevölkerung über den gleichen Zeithorizont um 5 Prozentpunkte auf 49 Prozent. Innerhalb der Kantone variiert die Bevölkerungsverteilung je Szenario mit einer stärkeren Urbanisierung in den Szenarien BASIS und NTG. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) wächst basierend auf den Prognosen des Staatsekretariats für Wirtschaft zwischen 2017 und 2050 um über 50 Prozent. Die wirtschaftliche Entwicklung einzelner Branchen beruht auf den Branchenszenarien des Bundes (KPMG & Ecoplan 2020). Diese bilden die Grundlage für die Berechnung der Gütermengen, die in Zukunft transportiert werden.

Vorgehensweise

Verschiedene für die Mobilität relevante Treiber in der Gesellschaft sind im Wandel. Zukunftsszenarien erstellen ist in diesem Kontext eine Herausforderung. Unsere Vorgehensweise kann dabei wie folgt zusammengefasst werden:

  1. Wirkungszusammenhänge identifizieren: Identifikation der Zusammenhänge und Entwicklungen der relevanten Treiber des Verkehrs in der Vergangenheit, wie z. B. Bevölkerungs- und Wirtschaftsentwicklung, Reaktion auf Preisänderungen für die Nutzung von Personenwagen und ÖV.
  2. Neue Entwicklungen einschätzen: Identifikation und Bestimmung der Auswirkung neuer Entwicklungen, wie z. B. Homeoffice, Onlineshopping und die Automatisierung von Fahrzeugen, basierend auf der Literatur und Experteneinschätzungen.
  3. Setzung der Annahmen und Übersetzung in die Modellparameter: Für die Setzung der konkreten Annahmen in Fünfjahresschritten und deren Übersetzung in die quantitativen Modelle wurde ein zweistufiges Verfahren etabliert mit Stellgrössen und Bausteinen. Dabei entsprechen Stellgrössen Parametern, die in den Modellen abgebildet sind. Beispiele dafür sind der Besetzungsgrad von Personenwagen nach Fahrtzweck oder die durchschnittliche Wohnfläche pro Person. Auf die Stellgrössen wirken in der Regel mehrere Bausteine, im Falle des Besetzungsgrads z. B. die Verbreitung automatisierter Fahrzeuge, die Bereitschaft, Fahrten zu teilen (Pooling), oder das Mobilitätskostenniveau. Die Wirkungen dieser Bausteine auf eine Stellgrösse wurden für alle Szenarien und Zeitscheiben hergeleitet und quantitativ festgelegt. Die dazu notwendige Festlegung konkreter Annahmewerte erfolgte iterativ, wann immer möglich basierend auf Studienergebnissen, wo nötig ergänzt durch Experteneinschätzungen. Da die Annahmen für jeden Fünfjahresschritt und jede Stellgrösse einzeln gesetzt wurden, resultieren z. T. auch «Brüche» in den Annahmen und Resultaten; so setzen z. B. automatisierte Fahrzeuge erst 2030 ein. Insgesamt wurden für die drei Modelle (Flächennutzungsmodell (FLNM), Aggregierte Methode Güterverkehr (AMG) und Nationales Personenverkehrsmodell (NPVM)[1]www.are.admin.ch/flnm ; www.are.admin.ch/ngvm ; www.are.admin.ch/npvm 58 Stellgrössen identifiziert und quantifiziert. Allein für die Ermittlung der zukünftigen Mobilitätskosten zur Nutzung von Personenwagen wurden 14 Stellgrössen betrachtet (ARE 2021a und 2021b).
  4. Plausibilisierung der Annahmen: Die mit der Durchführung des Projekts beauftragte Auftragnehmerschaft, eine bundesinterne Begleitgruppe und Projektoberleitung sowie das Soundingboard mit bundesexternen Interessenvertretern aller Verkehrsträger und Verkehrsmittel plausibilisierten die Annahmen. Die Plausibilisierung erfolgte sowohl auf Ebene der Stellgrössen und Bausteine als auch auf Ebene der daraus resultierenden, aggregierten Grössen.
  5. Berechnung mit den Modellen: Die Quantifizierung der Szenarien erfolgt durch die drei genannten Modelle. Die Modelle tauschen Daten aus, so dass Wechselwirkungen bei den Berechnungen berücksichtigt werden. Beispielsweise berechnet das FLNM die zukünftige Verteilung von Bevölkerung und Arbeitsplätzen auf der Stufe von Verkehrszonen (ca. 8000 Zonen in der Schweiz) und übergibt diese Daten zur Berechnung der Verkehrsnachfrage ans NPVM. Die AMG nutzt diese Daten ebenfalls zur Verteilung der Nachfrage im Strassengüterverkehr auf die Verkehrszonen. Alle drei Modelle basieren auf etablierten theoretischen Grundlagen, den vorhandenen empirischen Erkenntnissen und standen mit einem Zustand 2017 für die Anwendungen bereit. Das durch die COVID-Pandemie stark beeinflusste Jahr 2020 wurde modelliert, als hätte keine Pandemie stattgefunden, die entsprechenden Ergebnisse werden nicht ausgewiesen, da sie keinen Erkenntnisgewinn bringen. Anhaltende Auswirkungen der COVID-Pandemie wurden in den Szenarien abgebildet.
  6. Plausibilisierung der Ergebnisse: Wie die Annahmen wurden auch die Ergebnisse auf deren Konsistenz mit den Szenarien durch die oben beschriebenen Gremien plausibilisiert.
  7. Transparente Publikation: Es erfolgte eine detaillierte Publikation aller Annahmen und Resultate. Mit dieser Transparenz können die Arbeiten besser nachvollzogen, aber auch kritisch hinterfragt werden.
  8. Kontrolle & Aktualisierung: Abgleich mit den tatsächlichen Entwicklungen und Aktualisierung, wenn wichtige Annahmen nicht mehr sinnvoll sind.

Personen- und Güterverkehr mit gedämpftem Wachstum

In den nächsten 30 Jahren wächst im BASIS die Verkehrsleistung im Personenverkehr mit 11 % weniger stark als es der Anstieg der Bevölkerung von 21 % (2017–2050) vermuten liesse. Voraussetzung für diese Entkopplung ist eine konsequente Siedlungsentwicklung nach Innen an gut erschlossenen Lagen sowie eine weitergehende Verkehrspolitik. Zudem tragen die demografische Alterung (nichterwerbstätige Menschen sind im Durchschnitt weniger mobil) und Verhaltensänderungen wie vermehrtes Homeoffice bei: Eine wichtige Annahme ist, dass sich die durch die COVID-Pandemie ausgelöste Dynamik im Bereich des Homeoffice verstetigt. Weniger Arbeitswege und stattdessen eine Zunahme an Freizeitwegen, die zu Fuss oder mit dem Velo realisiert werden, senken die Verkehrsleistung. Während sich die Einkaufswege mit +15 % unterproportional zur Bevölkerung entwickeln, nehmen die Arbeitswege bis 2050 gegenüber 2017 sogar um 13 % ab. Aufgrund der Zunahmen bei den Freizeitwegen (+41 %) geht das individuelle Mobilitätsniveau mit 3.65 Wegen pro Person und Werktag im Jahr 2050 gegenüber 3.75 Wegen im Jahr 2017 leicht zurück.

Die Transportleistung im Güterverkehr steigt um 31 % und somit ebenfalls unterproportional zum Bruttoinlandsprodukt (BIP), welches im Zeitraum um 57 % zulegt. Ein wichtiger Grund dafür ist die Fortführung des Güterstruktureffekts, d. h. der Trend zu hochwertigeren und leichteren Gütern. Auch die stark rückläufigen Transporte im Bereich des Transports von Energieträgern dämpfen die Entwicklung der Transportkilometer im Güterverkehr.

Nachstehende Abbildungen zeigen die Entwicklung der Verkehrs- und Transportleistung im BASIS für den gesamten Perspektivhorizont 2017–2050.

Ausblick

Die hier gezeigten Ergebnisse fokussieren auf die Gesamtverkehrsentwicklung. Dank der Anwendung der Modelle mit detaillierten Raumstrukturdaten, Matrizen und Netzbelastungen liegen auch räumlich-differenzierte Resultate vor, z. B. zur Entwicklung an Engpässen im Strassen- und Schienennetz (siehe ARE 2021b).

Die Verkehrsperspektiven werden aktualisiert, wenn sich wichtige Voraussetzungen ändern oder aktualisierte Datengrundlagen wie z. B. neue Bevölkerungs- und Wirtschaftsszenarien vorliegen.

Referenzen:

ARE et al. (2021): Mobilität und Raum 2050 – Sachplan Verkehr, Teil Programm; [2] … Continue reading

ARE (2021a): Schweizerische Verkehrsperspektiven 2050. Schlussbericht. Rapp Trans AG, Prognos AG, PTV Transport Consult GmbH, Strittmatter Partner AG, BAK Economics AG im Auftrag des ARE.

ARE (2021b): Verkehrsperspektiven 2050: Ergebnisse. [3]Datenbezug über die Plattform www.zenodo.org/record/5700921.

KPMG & Ecoplan (2020): Scénarios par branche et leur régionalisation. Im Auftrag von ARE, BFE und SECO; Wirtschaftsszenarien;  [4]https://www.bk.admin.ch/bk/de/home/dokumentation/fuehrungsunterstuetzung/wirtschaftsszenarien.html BFS (2020): Szenarien zur Bevölkerungsentwicklung der Schweiz und der Kantone 2020–2050.

Autor:innen:

Dr. Andreas Justen ist Co-Leiter Verkehrsmodellierung in der Sektion Grundlagen im Bundesamt für Raumentwicklung ARE und Projektleiter der Verkehrsperspektiven 2050. Mail

Dr. Raphaël Ancel ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Sektion Grundlagen im Bundesamt für Raumentwicklung ARE und stellvertretender Projektleiter der Verkehrsperspektiven 2050. Mail

Dr. Antonin Danalet ist Co-Leiter Verkehrsmodellierung in der Sektion Grundlagen im Bundesamt für Raumentwicklung ARE. Mail

Dr. Nicole A. Mathys ist verantwortlich für die Sektion Grundlagen im Bundesamt für Raumentwicklung ARE. Zugleich ist sie Titularprofessorin in Umweltökonomie an der Universität Neuenburg. Mail

Fussnoten

Fussnoten
1 www.are.admin.ch/flnm ; www.are.admin.ch/ngvm ; www.are.admin.ch/npvm
2 https://www.are.admin.ch/are/de/home/raumentwicklung-und-raumplanung/strategie-und-planung/konzepte-und-sachplaene/sachplaene-des-bundes/sachplan-verkehr-spv/sachplan-verkehr-spv–teil-programm.html
3 Datenbezug über die Plattform www.zenodo.org/record/5700921.
4 https://www.bk.admin.ch/bk/de/home/dokumentation/fuehrungsunterstuetzung/wirtschaftsszenarien.html BFS (2020): Szenarien zur Bevölkerungsentwicklung der Schweiz und der Kantone 2020–2050.